Proseminar: Kommunikationsprobleme im Unterricht
Dozentin: Frau Eilers
Hausarbeit: Planung eines Unterrichtsgespräches
Thema: Die quadratische Ergänzung
von: Martin Löhnertz
1. Didaktische Analyse
1.1. Struktur des Inhalts
Die quadratische Ergänzung ist normalerweise ein Zwischenschritt des
Beweises der sogenannten P-Q-Formel1. Es ist dennoch sinnvoll, diesem
Thema eine volle Unterrichtsstunde zu widmen, da diese Methode bis zur
Oberstufe das einzige Verfahren zur Lösung von Minimierungs- aufgaben ist,
das den Schülern vermittelt werden kann. Zudem stellt die quadratische
Ergänzung innerhalb der kognitiven Struktur, die sich zu diesem
Themenbereich bilden sollte, ein zentrales Element dar, da die - den Schü
lern bisher als unabhängig erscheinenden - Gebiete "Binomische Formeln"
und "Verschiebung der Normalparabel" in engen Zusammenhang gestellt
werden. Somit dient die quadratische Ergänzung auch als exemplarisches
Beispiel für die Anwendungsmöglichkeiten der Binomische Formeln.
Hinzu kommt die Methode der - oft so bezeichneten - "Nulladdition", die in
den folgenden Jahren noch häufig verwendet wird und, obwohl sie den im
allgemeinen ordnenden und vereinfachenden Methoden der Mathematik
scheinbar zuwiderläuft, da sie den Term zunächst verkompliziert, ein
elegantes und für die Schüler sicherlich zu Beginn überraschendes
Hilfsmittel bei Beweisverfahren darstellt.
Die Aufgabenstellung besteht darin, einen Term der Form x2+px+q in die
Form (x+a)2+b zu bringen, aus der man den Scheitelpunkt (d.h. das Minimum
bzw. Maximum der Funktion) ablesen kann. Hierzu bringt man die Gleichung
zunächst auf die Form x2+2p/2 +p2/4 - p2/4 + q, indem man p2/4 addiert und
dann wieder subtrahiert (Es wird also insgesamt Null addiert.). Auf die
ersten drei Summanden kann nun die erste Binomische Formel angewandt
werde, was zur Form (x+p/2)2-p2/4+q führt. Nach dieser Herleitung kann
letzteres dann als Schema verwandt werden.
Die andere Dimension der Aufgabe (zumindest in der Form, wie das Problem
hier präsentiert werden soll) besteht darin, zu erkennen, wann ein Problem
zufriedenstellend gelöst ist. D.h. die Schüler sollen - ausgehend von
Beispielen - selbständig zu dieser allgemeinen Darstellung finden. Dies
ist eine wertvolle Vorübung für spätere Aufgabenstellungen (insbesondere
im außerschulischen Bereich), in denen es keine konkreten Zielvorgaben,
sondern nur noch ein zu lösendes Problem gibt und der Schüler entscheiden
muß, wann er mit der Bearbeitung aufhören kann.
1.2. Vorkenntnisse der Schüler
Die Schüler müssen die Binomischen Formeln sicher anwenden können. Zudem
sollten bereits einfache Übungen zum "Verschieben" der Normalparabel im
zweidimensionalen orthonormalen Koordinaten- System durchgeführt worden
sein. Die Hausaufgabe der vorigen Stunde sollte sich auf diese Gebiete
beziehen. Eventuell ist es sinnvoll, daß Thema "Koeffizientenvergleich"
vorher behandelt zu haben, da dann die "Umkehrung" der dritten Binomischen
Formel leichter fallen würde; dies ist aber nicht notwendig.
1.3. Lernergebnis
Primäres Ziel ist es, daß die Schüler das erwähnte Schema anwenden können,
und verstehen, warum es gültig ist. D.h. zum Ende der Stunde soll die
Formel (x+p/2)2-p2/4+q an der Tafel stehen. Gleichzeitig soll aber auch
die Methode der "Nulladition" verstanden werden, die häufig als
Hilfsmittel bei Beweisen verwandt wird. Unterschwellig kann zudem die
Erkenntnis vermittelt werden, daß auch in der Mathematik Umwege schneller
zum Ziel führen können und Erfahrungswerte eine Rolle spielen (die
Anwendung der Nulladition begründet sich nur aus dem Ergebnis, nicht aus
einer Regel). Letztere Einsicht ist insbesondere als geistige Vorbereitung
auf das unvollständige Kalkül der Integralrechnung sinnvoll.
Des weiteren sollen die Schüler am Ende in der Lage sein, zu begründen,
warum man die Überlegungen nicht zu einem früheren Zeitpunkt hätte beenden
können, und warum das gefundene Ergebnis weitgehend zufriedenstellend ist.
Wünschenswert wäre es wenn einer der Schüler aus eigenem Antrieb darauf kä
me, daß Parabeln der Form cx2+px+q auch noch betrachtet werden sollten.
2. Verlaufsplanung des Unterrichtsgespräches
2.1. Eingangsphase
Zunächst beginne ich mit einem "Advance Organizer", indem ich erkläre, daß
es Ziel der Stunde sei, die Scheitelpunkte beliebiger Normal-Parabeln auf
einfache und elegante Weise zu bestimmen.
Wie in der Mathematik so üblich, soll am Beginn eine Transferphase stehen.
Dazu schreibe ich den Term x2+6x+9 an und gebe den Impuls "Bestimmt den
Scheitelpunkt dieser Parabel !". Dieser Impuls ist konvergent und offen,
da es einerseits eine eindeutige Antwort gibt , andererseits aber die
verschiedenen Ansatzmöglichkeiten Raum für Diskussionen lassen. Damit reiß
e ich das Thema auf einer einfacheren Stufe an. Es ist zu erwarten, daß
verschiedene Vorschläge kommen, insbesondere werden viele Schüler zunächst
auf graphischem Wege versuchen, an die Lösung zu gelangen. Es ist zu
hoffen, daß einer der Schüler aufgrund der vorher durchgeführten Übungen
auf die Idee kommt, die Binomische Formel anzuwenden. Sollte dies nicht
geschehen, könnte zunächst ein Impuls erfolgen, der dazu auffordert, den
Term daraufhin zu prüfen, ob man diesen nicht schon in anderen Zusammenhä
ngen gesehen hätte. Hilft auch das nicht, muß explizit auf die Binomischen
Formeln hingewiesen werden.
2.2. Weitere Impulse
Nun kann eine kurze Diskussion mit den Schülern erfolgen, ob sie mit dem
Gelernten zufrieden sind. Dies sollte normalerweise nicht der Fall sein
(vgl. Kommentar). Mögliche Fragen wären z.B. "Sind wir jetzt fertigū?".
Als nächstes wird das Ganze mit der Aufgabe x2+4x wiederholt. Es ist
fraglich, ob ein Schüler selbständig auf die Idee kommt, den Term um
"+4-4" zu vergrößern. Mögliche Impulse in dem geplanten freien Gespräch
sind: "Was fehlt denn?" oder "Wie könnte man das hinzufügen, ohne etwas
zu ändern." Sollte es nach einer gewissen Zeit kein Ergebnis geben, würde
ich die Lösung einfach anschreiben. In jedem Fall soll danach einer der
Schüler versuchen, die Vorgehensweise mit eigenen Worten zu beschreiben
(sei es, daß er seine Lösung präsentiert, sei es, daß er die gegebene Erklä
rung wiederholt), damit die nun folgende Diskussion über die Abstrahierung
vorstrukturiert wird.
Hier kann nun wiederum eine Diskussion über den Wert der gewonnenen
Erkenntnisse durchgeführt werden. Mit Fragen wie "Findet ihr die gefundene
Methode praktisch" oder "Wie würdet ihr das in kurzer Form aufschreiben"
kann die nächste Phase vorbereitet werden.
(Ideal wäre es, wenn Erfahrung im Umgang mit Computern vorläge. Dann kö
nnte die Aufgabe lauten, einen Algorithmus zu entwickeln, was eine zusä
tzliche Motivation erübrigen würde.)
Kommen die Schüler nicht von alleine auf das Schema, so muß dann im nä
chsten Schritt die allgemeine Aufgabe x2+px+q präsentiert werden. Als mö
gliche Impulse bieten sich "Was ist denn p (q)" oder "Wie seit ihr denn
auf den Wert in der Klammer gekommen ?" gestellt. Sollte dies nicht
fruchten, würde ich als Hilfestellung nochmals die Binomische Formeln
anschreiben. Reicht auch das nicht, werde ich ein weiteres Beispiel
(x2+4x+10) rechnen lassen.
2.3. Abschluß des Gesprächs
Steht nun die Formel an der Tafel (angeschrieben von dem Schüler, der sie
gefunden hat), so werde ich die Vorgehensweise nochmals auf einer höheren
Metaebene Revue passieren lassen (frontal). Ich werde darauf hinweisen,
daß man ein gegebenes Problem auch so erweitern kann, daß die Anwendung
eines bekannten Satzes möglich ist, und vielleicht einen Ausblick darauf
geben, wozu die Nulladition noch verwandt werden kann. Im Anschluß daran
sollte (wenn die Zeit noch bleibt) kurz darauf eingegangen werden, warum
man eine Darstellung in obiger Form anstrebt, und warum das gesetzte Ziel
erst mit dem Finden dieser Formel vollständig erreicht wurde. Dies kann
sich aber auf wenige Schülerbeiträge beschränken, da dies bereits
zwischendurch teilweise abgehandelt wurde.
2.4. Festigung
Nun folgen Aufgaben zur Anwendung des gefundenen Schemas. Diese können zunä
chst in mathematischer Form, z.B. x2+10x+3 gegeben werden, wobei es sich
anbietet, einige der Graphen skizzieren zu lassen, um das Ergebnis der
theoretischen Überlegungen quasi zu überprüfen. Nun können aber auch
Textaufgaben verwandt werden. Beispielsweise empfiehlt sich die Aufgabe:
Bestimme unter den Rechtecken mit Umfang 8 dasjenige mit maximalem Flä
cheninhalt!
Die mathematische Formulierung dieses Problems x*y=4 und y=((8-2x)/2)
werde ich anschreiben, da dies einen weiteren Transferschritt verlangen wü
rde, der den Schülern gegen Ende der Stunde wohl nicht mehr zuzumuten ist.
Als Lösung ergibt sich hierfür:
x*((8-2x)/2)= -x2+4x = -((x-2)2-4)
3. Didaktischer Kommentar
3.1. Zur Einführung
Ein wesentliches Problem besteht darin, daß Problemstellungen, die sich
durch quadratische Gleichungen beschreiben lassen, im täglichen Leben auß
erordentlich selten vorkommen, da die jeweiligen Situationen entweder
einfacher (linear) oder deutlich komplizierter sind. Anwendungsbeispiele
haben daher immer einen konstruiert erscheinenden Charakter, der sie zur
Einführung des Problems ungeeignet werden läßt. Zudem besteht bei den
meisten Anwendungen quadratischer Gleichungen die Aufgabe in der
Bestimmung der Nullstellen und nicht in der Suche des Minimums. Eine
Begegnung der Schüler mit dem Gegenstand in einem "originalen"2 Sinn dü
rfte also eher Verwirrung auslösen, und ist nur möglich, indem man stundenü
bergreifend auf die p-q-Formel hinweist. Daher wird die Aufgabe als eine
veränderte Form bereits gestellter Aufgaben präsentiert. Eine Motivation
kann hier daher somit nur aus einem bereits gegebenen großen Interesse an
der Mathematik allgemein oder aus dem Wunsch nach Selbstbestätigung oder
Profilierung resultieren. Diesen Bedürfnissen wird durch die Wahl des
Gesprächsmodus entgegengekommen (s.u.). Der gewählte "Advance Organizer"
dient dazu, die zu Beginn erwähnte weitere Dimension der Aufgabenstellung
von vornherein erkennbar werden zu lassen. Der Schüler weiß nun, was das
Ziel ist, welches Wissen er aktivieren muß und kann beurteilen, wann
dieses Ziel erreicht ist.
3.2. Zum Ablauf
Obwohl die zu erstellende kognitive Struktur sehr eng an das bereits
bestehende Wissen angeknüpft werden kann, ist nicht zu erwarten, daß die
Schüler die gesamte Transferaufgabe selbständig lösen können. Daher wurde
ein gemischtes Prinzip aus offenem und linearem Unterricht gewählt, wobei
das äußere Gerüst (wie z.B. bei Unterrichtsreihen üblich) linearen
Charakter hat, die Einzelaufgaben aber in offenen Gesprächen gelöst werden
sollen. D.h. nach den Kriterien von Thiele3 liegt eindeutig der Typ
Erarbeitungsgespräch vor, ich versuche aber die kreativen Operationen
durch eher lose Führung in den konkreten Schritten zur Geltung kommen zu
lassen. Der erste Gesprächsabschnitt dient einerseits dazu, die
notwendigen Vorkenntnisse der Schüler zu reaktivieren, und andererseits zu
zeigen, daß in bestimmten Spezialfällen das vorhandene Wissen bereits
ausreicht. Die von den Schülern durchzuführende Operation ist in erster
Linie reproduktiv, da sie entweder die Aufgabe schon kennen, oder durch
Raten lösen. Es ist zu erwarten, daß die Schüler sich nicht damit
zufrieden geben, einen selten auftretenden Spezialfall behandeln zu kö
nnen. Es klafft gewissermaßen noch ein Loch im Innern der geistigen
Verbindungen, das nach seiner Schließung verlangt. Durch die kurze
Diskussion soll dies den Schülern nochmals verdeutlicht werden.
Dem nun entstandenen Wunsch, eine Aufgabe zu lösen, bei der im letzten
Summanden nicht "genau das Passende" steht, wird dann entsprochen, indem
eine Aufgabe präsentiert wird, bei der dort gar nichts steht, was den gewü
nschten Lösungsansatz, dort ohne Veränderung der Gesamtsumme den fehlenden
Wert zu ergänzen, zudem etwas suggeriert. Hier ist es fraglich, wie lange
das offene Gespräch aufrecht erhalten werden kann, da der geringste
genauere Hinweis bereits die Lösung preisgibt. Gelingt es den Schülern
also nicht, von alleine die Lösung zu finden, so muß sie präsentiert
werden.
Sollte es nötig sein, das Verfahren erklären zu müssen, ziehe ich es hier
vor, das Vorgehen von einem Schüler explizit darstellen zu lassen, da es
in dieser Phase zuviel Zeit kosten würde, dies in einer Stillübung zu
durchzuführen. Des weiteren soll dies zumindest für einen Einzelnen den
kreativen Akt ansatzweise ersetzen. Findet ein Schüler den Weg selbstä
ndig, so erübrigt sich dies.
Durch die verbale Beschreibung geleitet sollen die Schüler danach
versuchen, das Verfahren zu abstrahieren. Da man in der Diskussion immer
wieder auf die Zusammenfassung des vorigen Teils hinweisen kann, ist es
somit möglich, etwaige Impulse nur auf Schülerbeiträge zu beziehen.
Ist die Lösung gefunden, so soll sie angeschrieben werden, damit ein
"festumrissenes für alle Schüler gleiches"4 Ergebnis erzielt wird.
3.3. Zum Abschluß
Analog zum Advance Organizer am Anfang soll hier nochmals auf den Sinn der
Übung hingewiesen werden. Dies ist notwendig, da viele Schüler die
konkrete Formel für das einzige Ergebnis halten werden, während sie
beispielsweise die Nulladition nur für das Mittel zum Zweck halten, das
schnell wieder vergessen werden kann. Insbesondere im Hinblick auf die spä
tere Anwendung aber ist es eher umgekehrt. Es gilt also, nochmals das
eigentlich Wchtige hervorzuheben, um den Schülern die Möglichkeit zu
geben, sich auf die zukünftig relevanten Teile konzentrieren zu können.
3.4. Zur Festigung:
Ein reproduktiver Teil erübrigt sich, da die zu memorierende Formel
bereits an der Tafel steht, und da die Schüler diese sowieso nur bis zur nä
chsten Stunde behalten sollen, da sie sich dann die p-q-Formel einprägen kö
nnen, aus der man die gegebene Formel wieder leicht gewinnen kann.
Das zeichnerische Überprüfen erachte ich als sinnvoll, da die Konsistenz
der einzelnen Sätze ein wichtiges Wesensmerkmal der Mathematik ist. Zudem
kann der Schüler somit erfahren, daß das neu Gelernte nicht im Widerspruch
zu seinem vorhandenen Wissen steht. Bestehende Strukturen werden also
gefestigt und mit den neuen verbunden.
Es wurde hier eine geometrische Übungsaufgabe gewählt, um Querverbindungen
zu einem weiteren Gebiet schaffen zu können. Diese vermittelt zudem noch
die Einsicht, daß eine Funktion f ihr Minimum annimmt, wenn -f maximal
wird.
4. Literaturverzeichnis
KLAFKI, Wolfgang: Die Didaktische Analyse als Kern der
Unterrichtsvorbereitung, in: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, 1958
OTT, Karl Heinz, Lehrverfahren, in Helmut Frommer: Handbuch der Praxis des
Vorbereitungsdienstes, Bielefeld 1981
"RAAbits", Impulse und Materialien für die kreative Unterrichtsgestaltung
Mathematik, Raabe-Verlag, Heidelberg
Fußnoten:
1 Eine Formel zur Bestimmung von Nullstellen bei quadratischen Funktionen
2 s. Heinz Karl Ott: Lehrverfahren
3 Komm. 31
4 Thiele, Komm. 31